Doch nicht nur „soziale Kontakte“ werden neuerdings mit Abstand gepflegt. SARS-CoV-2 hat auch bislang geltende Regeln der Weltwirtschaft aus den Angeln gehoben. Für Karl-Heinz Land (58) ist klar, dass durch Corona eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Im Interview spricht der Autor, Redner, Coach und Investor über die künftigen Chancen und Risiken.

Herr Land, ist Corona für die Menschheit eine Katastrophe oder sogar eine große Chance?
Karl-Heinz Land: Wenn wir gesundheitliche Aspekte mal außen vor lassen, haben das Virus bzw. die Maßnahmen, die angesichts des Virus getroffen wurden, viele Menschen in eine existenzbedrohende Situation gebracht. Es hat aber auch gezeigt, dass Menschen innerhalb von nur wenigen Tagen ihr Verhalten ändern können und Dinge tun, die vorher unmöglich schienen.

Was hat sich konkret positiv verändert?
Land: Nehmen Sie zum Beispiel den deutlich verringerten CO₂-Ausstoß zwischen März und heute. Allein durch die Tatsache, dass wir deutlich weniger fliegen, Geschäftstermine auf einmal wie selbstverständlich als Videokonferenz abhalten, hat der Umwelt sicher nicht geschadet. Das Coronavirus hat uns nicht nur ein Stück weit entschleunigt, sondern war und ist für die weitere Digitalisierung ein „Booster“.

Wird es noch einmal die Weltwirtschaft geben, die wir kannten?
Land: Ich glaube nein. Die Weltwirtschaft wird sich nachhaltig verändern – und das ist auch gut so. Es wird nicht mehr nur um „höher, schneller, weiter und größer“ gehen. Vermutlich werden auch der Globalisierung ein Stück weit die Grenzen gesetzt. Und seien wir mal ehrlich: Nicht alles, was gewesen ist, war erstrebenswert. Denken Sie an unseren Fleischkonsum, die Art der Haltung von Schweine oder an bisherige Strategien von Automobilfirmen. Die „alte Wirtschaftswelt“ wird massiv disruptiert, es entsteht eine neue Gründerzeit. Wir gelangen vom Industriezeitalter in das Informations- und Wissenzeitalter. Der Ökonom Joseph Schumpeter (Anm. d. Red.: 1883-1950) hat in seinem Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ von der „schöpferischen Zerstörung“ geschrieben. Schon lange war sie nicht mehr so deutlich wie heute.

Sie sind als Investor selbst in der Wirtschaft aktiv, haben diverse Beteiligungen an Firmen. Wie wirkt sich der von Ihnen beschriebene „Corona-Boost“ auf neuland Ventures GmbH aus?
Land: Auch bei uns gibt es Veränderungen, ich habe kürzlich die neuland Ventures GmbH gegründet, um mit Venture Capital noch zielgerichteter auf Start-Ups in der Seed-Phase zu setzen. Das Ziel ist es, aus gut zehn Firmen mindestens zwei Drittel erfolgreich in der Wirtschaftswelt zu etablieren. Und vielleicht ist ja sogar ein „Unicorn“ dabei…

Welche Voraussetzungen müssen diese Start-Ups erfüllen?
Land: Sie sollten sich noch in einer frühen Finanzierungsphase befinden, wobei es bereits einen Prototypen oder möglicherweise schon Kunden für ein Produkt geben sollte. Wichtig zudem: Das Geschäftsmodell muss digital sein, ein „Game-Changer“, der bestehende Angebote disruptieren und überflüssig machen kann. Investitionskriterien sind zum Beispiel Plattformökonomie, Sharing-Economy, Dematerialisierung und idealerweise auch die Nachhaltigkeit.

Worin unterscheidet sich neuland Ventures von anderen Investoren?
Land: Wir wollen der kleine, emotionale Venture-Capital-Investor sein, der nicht nur an die Rendite denkt, sondern auch an die Story. Wir gehen dabei nur in Märkte, von denen wir auch wirklich Ahnung haben und die Marktmechanik beherrschen. Nur dann können wir den Start-Ups auch helfen, sich perfekt zu positionieren, ihr eigenes Netzwerk aufzubauen und Zugang zu weiterem Kapital zu erhalten. Start-Ups erhalten von uns ggf. nicht nur Geld, sondern Know-How, Kontakte und eine Go-2-Market-Strategie.

Sie haben die Nachhaltigkeit erwähnt, inwiefern wird die Digitalisierung ein Treiber sein?
Land: Sie kann Werkzeug und Hebel zugleich sein. Plattformen werden uns helfen, Dinge zu teilen statt zu besitzen – Car-Sharing statt dem eigenen Auto. Künstliche Intelligenz wird uns helfen, unsere Städte zu Smart Cities zu machen, die 70-90 Prozent weniger Verkehr, Feinstaub und weniger Energie verbrauchen werden. Wenn wir Digitalisierung und den technologischen Fortschritt zu Ende denken, könnten wir auch die Thematik des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der zunehmenden Umweltzerstörung mit neuem Denken in den Griff kriegen.

Die Corona-Krise also unterm Strich eher eine Chance als eine Katastrophe?
Land: Genau. Ich sehe ist ein wichtiger Wendepunkt in unserer Ökonomie und Ökologie sowie in unserem Gesellschafts- und Sozialsystem. Jetzt ist die Zeit, Dinge neu zu denken.